In Istrien soll das bestehende Heizkraftwerk Plomin um den „Block C“ erweitert werden. Als Brennstoff ist weiterhin Kohle geplant. Gegen Kohle als Brennstoff gab es in den angrenzenden Städten und Gemeinden am 29. März 2015 ein Referendum. Obwohl 94 % der Teilnehmer am Referendum sich gegen Kohle äußerten, ist das Referendum nicht verpflichtend, da die Beteiligung unter 50 % der Berechtigten lag (36 % gaben ihre Stimme ab). Dieses Debakel und die Folgen versucht Dr. Furio Radin in seiner Kolumne „pro bono“, die wöchentlich in der istrischen Tageszeitung „Glas Istre“ erscheint, vom 4.4.2015 zu erklären. Wir halten es für wichtig alle Freunde Istriens ins Geschehen einzuweihen.
Verzicht auf Gesundheit
Das Referendum über das Heizkraftwerk Plomin kann man auf einigen Wegen angehen. Zuerst formell: die Tatsache, dass es sich um ein ratgebendes Referendum handelte macht das Referendum nicht nur unverbindlich, sondern auch wertlos. Es bleibt niemand den es beraten könnte, weder auf nationaler noch auf lokaler Ebene. Zweitens – inhaltlich: die Referendum-Frage wurde in positiver Form gestellt („Sind sie für den Bau des Heizkraftwerks Plomin C auf Kohle?“, Anm.) es wurde gefragt ob man ein kohlebetriebenes Kraftwerk unterstützte. Würde man sich mit Haarspalterei abgeben, könnte die niedrige Beteiligung am Referendum folglich, als Desinteresse an einem mit Kohle betriebenen Kraftwerk gedeutet werden. Drittens – strukturell: wie ist es möglich, dass ein Referendum auf nationaler Ebene unabhängig von der Beteiligung verbindlich ist? Wollen wir aber die Dignität, was immer dies heutzutage bedeuten mag, des Politikers, und vor allem die des Menschen und Einwohners der Region wahren, müssen wir sagen, dass es sich um eine große verlorene Schlacht handelt. Eine politische Schlacht, weil dieses Referendum nur im Erfolgsfall das Bewusstsein der Bevölkerung gezeigt hätte. Das Aufgeben des Referendums bedeutet Misstrauen gegenüber den Regierenden, und ist ein eminent politischer Akt.
Da dies auch mein persönliches Versagen bedeutet, möchte ich es kommentieren, weil auch mein Enkelsohn, in seinen kleinen Lungen, eine noch gefährlichere Menge CO2 einatmen wird als bisher. Dies wird auch den Kindern und Enkeln aller Einwohner unserer und der Nachbarregion passieren. Manchen gelegentlich, anderen regelmäßig. Die Verantwortung hierfür muss personalisiert werden: wir alle sind schuldig, nicht nur irgendjemand „dort drüben“. Natürlich der eine mehr der andere weniger, aber ist dies entscheidend für das Verständnis eines solch generellen Debakels und der Folgen für die Gesundheit der Bürger?
Kohle als Brennstoff für Kraftwerke wird in Europa von all jenen die es sich erlauben können verlassen, weil die gesundheitsgefährdende Wirkung bekannt ist. Das relativ „gesunde“ Gas verläuft unter unseren Fenstern, dennoch lassen wir den Bau eines mit importierter Kohle betrieben Heizkraftwerks zu, weil es sich um ein (das einzige) strategisches Projekt der kroatischen Energiepolitik handelt? Meine lieben Istrianer, wenn die Politik (die lokale, Anm.) sich hier verspätet hat und, um es milde auszudrücken, sich in einigen Momenten unentschlossen gezeigt hat, werden wir den Bau des umweltschädlichen Energiesystems zulassen? Jetzt, da wir uns alle einig sind, dass Plomin C verheerend für die Zukunft Istriens wäre? Die Antwort ist, leider, ja, weil wir bei der Artikulierung unserer Ablehnung nicht überzeugend genug waren, weil wir passiv waren und mit der Zeit zugelassen haben, dass die Bürger anomisch werden.
Diese Entwicklung wundert wenig, besonders in Anbetracht der moralischen Normen, ist es doch Tagesgeschäft der zwei größten kroatischen Parteien (SDP und HDZ, Anm.) sich gegenseitig der Korruption zu beschuldigen, so dass niemand mehr weiß, was wahr ist und was nicht? Wenn man in Untersuchungshaft und wieder raus kommt, ohne zu wissen weshalb man verhaftet, und weshalb wieder entlassen wurde? Wenn einzelne Politiker aus Istrien Tag für Tag daran arbeiten die Wahrnehmung ihrer Region zu destruieren indem sie sie als einen Ort an dem Diebe und Drogensüchtige hausen, anstatt von Menschen, die Tag und Nacht arbeiten darstellen? Auf diese Weise wird es langsam aber sicher völlig unerheblich, ob jemand korrupt oder ehrlich ist, weil auf eine diffuse Art jeder ein potenzieller Dieb ist. Wenn Ehrlichkeit irrelevant wird, wird alles andere relativ und Tür und Tor stehen den Listigen und Spekulanten offen, die uns weismachen wollen, dass ein Kohle als Brennstoff nutzendes Heizkraftwerk doch nicht so verheerend für uns wäre.
Der große französische Soziologe Emile Durkheim beschrieb Anfang des letzten Jahrhunderts die Gefahren der sozialen und moralischen Anomie, die Solidarität unmöglich macht.
Mit genialer Intuition erachtete er Anomie als einen potentiellen Grund für den Suizid, und dachte damit wörtlich an Selbsttötung. Heutzutage betrachten wir die Verbindung zwischen Anomie und Suizid als die Aufgabe von Identität, von Prinzipien, von Liebe, von jeglichem Wertesystem.
Letztlich führt Anomie, wie das Referendum gezeigt hat, zum suizidalen Verzicht auf Gesundheit.
Dr. sc. Furio Radin vertritt bereits im vierten Mandat die italienische Minderheit im kroatischen Parlament (Sabor).