Uni Tübingen forscht zu Melting Pot Istrien und Istrianern!

Uni Tübingen forscht zu Melting Pot Istrien und Istrianern!

Neue Aula der Universität Tübingen, Foto: Felix Koenig CC
Neue Aula der Universität Tübingen, Foto: Felix Koenig CC

Als wir Ende 2013 mit staging.istrien.flywheelsites.com (damals noch inistrien.hr) begannen, schrieben wir im obligatorischen „Über uns“, dass der Blog: „Entstanden ist, aus dem Bedürfnis heraus Istrien so vorzustellen wie es ist, halt ein bisschen anders.“ Dieses „anders“ wird derzeit am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft (EKW) der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen wissenschaftlich erforscht. Alter Schwede!

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Der Titel des Teilprojekts des Projekts „Bedrohte Ordnungen“ der EKW ist “Istrien als ‘Versuchsstation’ des Kulturellen. Hybridität als (bedrohte) Ordnung”. Geleitet wird das Teilprojekt von Prof. Dr. Reinhard Johler, Wiss. MitarbeiterInnen sind Daniela Simon, Postdoc und Francesco Toncich, Doktorand.

Auf der Webseite des Instituts ist über das Teilprojekt zu lesen:

„Die adriatische Halbinsel Istrien stand im 19. Jahrhundert mit ihrer sprachlichen, kulturellen und ethnischen Diversität wie kaum eine andere europäische Region stellvertretend für eine „hybride Kultur“ dar. Schon die Sprachwissenschaftler und Volkskundler der Habsburgermonarchie verwendeten den Begriff „Hibridismus“, um die „Verschmelzung“ und „Vermischung“ der Bevölkerung in Istrien zu beschreiben. Von den intellektuellen Eliten mit den Phänomenen Indifferenz, Ambiguität, Assimilation und der Entstehung der regionalen Identität der „Istrianer“ in Verbindung gebracht, wurde „Hibridismus“ im wissenschaftlichen Diskurs als Bedrohung diagnostiziert.

Postkarte mit Motiv aus Vodnjan aus dem Fundus des Geschichts- und Schifffahrtsmuseums (PPMI) in Pula, Kustodin: Gordana Milakovic
Postkarte mit Motiv aus Vodnjan aus dem Fundus des Geschichts- und Schifffahrtsmuseums (PPMI) in Pula, Kustodin: Gordana Milakovic

Auf der staatlichen Ebene wurde ihm ebenfalls entgegengewirkt, wenn er auch die Möglichkeit zur Entstehung des „Nationalösterreichers“ oder des „Istrianers“ offen legte. Hier zeigte sich „Hibridismus“ handlungsleitend und schlug sich in der Multikulturalitätspolitik nieder. Im Österreichischen Küstenland stieß jedoch der politisch propagierte Multikulturalismus auf nationale Ansprüche der italienischen, kroatischen und slowenischen Bevölkerung und förderte Konflikte entlang ihrer Assimilierungsbestrebungen. Der zunächst als intellektuelle Selbstalarmierung zu verstehende „Hibridismus“ konnte je nach den handelnden Akteursgruppen in der staatlichen, regionalen und kommunalen Ordnung Istriens als bedroht oder bedrohlich verstanden werden.

Das SFB-Teilprojekt distanziert sich vom deterministischen Charakter der ethnischen Gruppenbildung und betrachtet die Hybridisierungs- und Assimilationsprozesse als komplexe Interaktionsprozesse. Mit der Konzentration auf das dreigliedrige Ordnungsgefüge verfolgt es deshalb nicht die Frage, ob die durch „Hibridismus“ gesteigerte ethnisch-kulturelle Diversität Istriens eine Bedrohung für die drei Ordnungen war, sondern wer diese zu welcher Gelegenheit aus diesen Ordnungen heraus als bedrohend wahrgenommen bzw. propagiert sowie im Hinblick auf die eigene Ordnung reflektiert und welche Folgerungen daraus gezogen hat. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die die Bedrohung begleitenden und diese strukturierenden re-ordering Prozesse und die Reflexion über die jeweils eigene Ordnung.

Postkarte mit Motiv aus Rovinj aus dem Fundus des Geschichts- und Schifffahrtsmuseums (PPMI) Pula, Kustodin Gordana Milakovic
Postkarte mit Motiv aus Rovinj aus dem Fundus des Geschichts- und Schifffahrtsmuseums (PPMI) Pula, Kustodin Gordana Milakovic

Im ersten Teil der Untersuchung werden von Francesco Toncich das ethnografische Wissen und die Produktion von Differenz bzw. die „Klassifizierer“ wie Statistiker, Wissenschaftler, Museologen und Schriftsteller mit ihrer Wissensproduktion im Zeitraum 1850-1914 erforscht. Daniela Simon nimmt mit der zweiten Untersuchung den Zeitraum 1870-1914 in den Fokus und thematisiert mit der In/Differenz als politischer Handlungsanleitung, wie die ethnografisch hergestellten Differenzkategorien von Staat, Kirche und Vereinen in die gesellschaftliche Praxis über- und durchgesetzt wurden. Dies wird am Beispiel jener verfolgt, die in Istrien als hybrid, mehrfach zugehörig oder national indifferent beschrieben worden sind und daher als Bedrohung für das untersuchte Ordnungsgefüge als Ganzes gegolten haben.“

Ein Auszug aus der laufenden Dissertation von Francesco Toncich: „In diesem Sinn wurde Istrien als eine Miniatur und ein positives Beispiel der multinationalen habsburgischen „melting pot“ betrachtet.”

Das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft ist eine Einrichtung der Universität Tübingen mit sehr hoher inneruniversitärer, regionaler, nationaler und internationaler Sichtbarkeit. Mit dem Institutsnamen verbindet sich seit den Nachkriegsjahren, mit dem Fachnamen seit nahezu vier Jahrzehnten ein hoher Wiedererkennungswert. Das “LUI” und die hier vertretene “EKW” stehen für eine bundesweit einmalige und für andere Institutionen vorbildhafte Modernisierung des Faches Volkskunde, seine disziplinäre Öffnung und internationale Ausrichtung.